Blütenentwicklung verstehen – pflanzliche Biomasse gezielt steigern

In Zeiten einer rapide wachsenden Weltbevölkerung, des fortschreitenden Klimawandels und einer Verknappung der landwirtschaftlich nutzbaren Anbauflächen, ist die Sicherung der weltweiten Ernährung eine der größten globalen Herausforderungen der Menschheit. Um dieser zu begegnen, ist neben einer gerechteren Verteilung der Nahrungsmittel, eine drastische Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion ein herausragendes Ziel. Die Steigerung der pflanzlichen Biomasse, also die Ertragssteigerung von Nutzpflanzen, und deren Anpassung an veränderte Klimaverhältnisse ist hierbei von elementarer Bedeutung und steht folgerichtig im Fokus der modernen Pflanzenzüchtung. In der Abteilung »Funktionelle und Angewandte Genomik« des Fraunhofer IME an den Standorten Aachen und Münster erforschen wir die Blühinduktionsmechanismen von Pflanzen. Mit diesem Wissen können wir mittels moderner Züchtungsmethoden Biomasse und Ertrag von Pflanzen steigern.  


Der Zeitpunkt der Blühinduktion bei Pflanzen ist ein streng regulierter Prozess, bestimmt er doch wesentlich den Fortpflanzungserfolg der jeweiligen Spezies. Hierbei spielen sowohl äußere Umwelteinflüsse (exogene Faktoren), wie beispielsweise die Tageslänge oder eine notwendige Kälteperiode, als auch innere (endogene) Prozesse, wie das Alter der Pflanze, eine große Rolle. Auch wenn die grundlegenden Faktoren der Blühinduktion bei vielen Pflanzen ähnlich sind, ist es doch ein auf die jeweilige Spezies abgestimmter Prozess, da sich die Architektur des Pflanzenkörpers, der Standort und das Blühalter häufig stark unterscheiden. So ist ein grundlegendes Verständnis der entscheidenden Faktoren und Abläufe gerade für konventionelle, aber auch für alternative, neuartige Nutzpflanzen von elementarer Bedeutung, da sie die Ertragsmenge direkt beeinflussen. Die rapide wachsende Weltbevölkerung sowie die Auswirkungen des Klimawandels, wie beispielsweise lang anhaltende Dürreperioden oder Überflutungen, sind die Triebfedern, die die moderne Pflanzenzüchtung hinsichtlich Ertragssteigerung und der Erzeugung anpassungsfähigerer Pflanzen vorantreiben.

Die zentrale Stellschraube der Blühinduktion fast aller bis heute untersuchten Pflanzen ist ein Faktor, der dafür verantwortlich ist, die gesamte Kaskade der Blütenbildung und -entwicklung in Gang zu setzen: Dieser sogenannte Flowering Locus T (FT) ist Untersuchungsobjekt unserer Arbeitsgruppe. Wir möchten verstehen, wie seine Regulation aber auch die der nachgeschalteten Gene funktioniert, um letztendlich durch gezielte Modulation seiner Wirkung die Biomasse und somit den Ertrag von Nutzpflanzen steigern zu können.

Äußere Umwelteinflüsse sowie pflanzeneigene Prozesse bestimmen den Zeitpunkt der Blüte.
Dieser Prozess ist streng reguliert, da er das Bestehen der jeweiligen Art wesentlich sichert. Auf molekularer Ebene zielen all diese Faktoren auf die Expression von FLOWERING LOCUS T (FT) ab, ein zentraler, in vielen Spezies beschriebener mobiler Stimulus der Blühinduktion. Für unsere Modellspezies Tabak konnten wir einen Spezialfall der FTs identifizieren: Neben Blütenaktivierenden FTs (FT4-5) besitzt Tabak ebenfalls Blüten-inhibierende FTs (FT1-3), die über das Phloem in das Sprossapikalmeristem (SAM) transportiert werden, dort um FD konkurrieren und so den optimalen Blühzeitpunkt festlegen.

Flowering Locus T (FT) – der Schlüsselregulator der Blütenentwicklung

Bereits in den 1930er Jahren stellten Botaniker in Pionierstudien zur Blühinduktion fest, dass es einen mobilen Blühstimulus – ein sogenanntes Florigen – geben muss, der in den Blättern gebildet und anschließend zur Sproßspitze transportiert wird. Hier terminiert er das vegetative Wachstum der Pflanze, indem er die Umwandlung des vegetativen in ein reproduktives Meristem vermittelt. Viele Jahrzehnte später wurde dieser mobile Stimulus der Blühinduktion auf molekularer Ebene als Flowering Locus T (FT) beschrieben. Dieser wird in unzähligen Pflanzen in den Leitgeweben der Blätter gebildet und anschließend über das Phloem von den Blättern in das apikale Meristem der Sproßspitze(n) transportiert. Hier interagiert FT mit seinem Partner dem sogenannten FD und aktiviert in der Folge alle für die Blühinduktion und Blütenentwicklung notwendigen Prozesse. Obwohl FT speziesübergreifend DAS zentrale Modul der Blühinduktion darstellt, unterliegt seine Regulation in den verschiedenen Pflanzenspezies unterschiedlichen Faktoren. Je nach Standort der Pflanze spielt die Tageslänge eine entscheidende Rolle in der Verfügbarkeit von FT, andere Pflanzen brauchen wiederum eine Kälteperiode (Winter), um FT zu aktivieren und ihren Blühprozess zu initiieren. Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Aufklärung der Wirkungsweise von FT in Pflanzen der Familie der Solanaceen. Zu dieser gehören neben unserer Modellpflanze Tabak auch bedeutende Nutzpflanzen wie Kartoffel und Tomate.

Die gezielte Unterdrückung der Blüte führt zu einer enormen Biomassesteigerung – nicht nur unter Gewächshausbedingungen.

Ertragssteigerung durch gezielte Modulation von Aktivatoren und Repressoren der Blühinduktion

Unsere Arbeiten resultierten bereits in der Identifizierung und Charakterisierung mehrerer FTs. Neben den die Blühinduktion aktivierenden FTs identifizierten wir in diesen Pflanzenspezies auch einen Spezialfall der FTs: Hierbei handelt es sich um die Blütenbildung inhibierende, also reprimierende FTs, die in ähnlicher Form lediglich für wenige andere Nutzpflanzen wie die Zuckerrübe oder Sonnenblume beschrieben sind. Basierend auf der molekularen Charakterisierung der auf die Blühinduktion reprimierend wirkenden FTs liegt ein besonderer Fokus unserer aktuellen Arbeiten auf der Möglichkeit mittels Genetic Engineering eine beachtenswerte Steigerung der Biomasse der Pflanzen zu erreichen.

Es ist uns gelungen, über eine gezielte Modulation der Pflanze größere Mengen dieses reprimierenden Faktors bereitzustellen und somit die Pflanze in der vegetativen Wachstumsphase zu halten. Die Inhibierung der Blüte verlängert das vegetative Wachstum, was uns die Möglichkeit bietet die Morphologie und damit auch Ertrag und Biomasse der Pflanze gezielt zu steuern. Derart optimierte Tabakpflanzen erreichten allein durch die Unterdrückung der Blüte Höhen von ~ 5 Metern und dadurch eine Biomassesteigerung allein aufgrund der Blattgröße von bis zu 60 Prozent, weiter immens gesteigert durch die Ausbildung von bis zu zehnmal mehr Blättern.

Die Aufklärung der Wirkungsweise von aktivierenden versus reprimierenden FTs erlaubt uns mittlerweile eine präzise Regulation der Pflanzenarchitektur, des Blühzeitpunkts und der Samenmenge und damit des erzielten Ertrags durch den Einsatz moderner Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas. Somit erreichen wir wirtschaftliche relevante und vor allem auf dem Feld umsetzbare Züchtungsziele.

Blattbiomasse von Tabakpflanzen kultiviert bei 15 °C erhöhter Temperatur und normaler Bewässerung. links: nicht-modifizierte Pflanze kultiviert, rechts: FT-optimierten Pflanze

Auch unter Stress behalten die FT-optimierten Pflanzen ihre positiven agronomischen Eigenschaften

Pflanzen, die eine höhere Resistenz oder Toleranz gegenüber veränderten Umweltbedingungen wie beispielsweise Hitze und Trockenheit aufweisen, werden angesichts des globalen Klimawandels und der stetig steigenden Weltbevölkerung hinsichtlich der Sicherung der Nahrungsgrundlage unverzichtbar sein. Unsere neuesten Studien zeigen, dass Pflanzen, deren Dosis an aktivierenden FTs wir mittels moderner Züchtungsmethoden heruntergesetzt haben, ihre positiven agronomischen Eigenschaften wie gesteigerte Biomasse und erhöhte Saatgutproduktion auch unter verschiedenen abiotischen Stressbedingungen beibehalten. Normalerweise ist das Wachstum von Tabakpflanzen, die nur 5 °C höheren Temperaturen als unter normalen Bedingungen ausgesetzt sind, deutlich verzögert und die Blattbiomasse substanziell geringer. Mittels unserer Technik erzeugte, FT-optimierte Pflanzen, bildeten auch bei Anzucht, die bei 15 °C erhöhter Temperatur erfolgte, eine vergleichbare Biomasse wie Wildtyp-Pflanzen, die unter normalen Bedingungen kultiviert wurden.

Somit sind FTs, die als Blüteninduktoren wirken, vielversprechende Kandidaten für Züchtungsprogramme, die auf die Anpassung diverser Nutzpflanzen an die Auswirkungen des Klimawandels abzielen. Interessant wäre es beispielsweise, diese Züchtungsstrategie bei vegetativen Pflanzen wie Kartoffeln, Zuckerrüben oder Salat zu testen, wo die Kohlenstoff- und Energieverteilung in die vegetativen Organe wünschenswert ist und eine verlängerte vegetative Wachstumsphase durch Modulation der Aktivität der FTs von Vorteil sein könnte. Im Fall der Kartoffel ist die Erforschung der spezifischen Funktionen der verschiedenen FTs von besonderem Interesse. In dieser Pflanze ist die Knollenbildung ebenfalls von der Verfügbarkeit bestimmter FTs abhängig und eine gezielte Modulation des FT-Spiegels könnte den Ertrag der Kartoffelpflanzen auch unter sich verändernden Umweltbedingungen weiter steigern.

 

Auch dieses Projekt zeigt, dass die Kombination von Grundlagenforschung, zur Aufklärung der Funktion verschiedener Schlüsselfaktoren der Blütenentwicklung, mit den Zielen der angewandten Forschung, wie der gezielten züchtungsbasierten Optimierung dieser Schlüsselfaktoren, ein zentraler, erfolgsbringender Ansatz ist. Im Sinne der modernen Pflanzenzüchtung stellt dies einen besonderen Anreiz und eine große Herausforderung dar.

Ausgewählte Publikation

 

Schmidt et al.
The Major Floral Promoter NtFT5 in Tobacco (Nicotiana tabacum) Is a Promising Target for Crop Improvement (2020) Frontiers in Plant Science, 10, 1666