Dr. Monika Offenberger | Fraunhofer Magazin 2.2022

»Pflanzenschutz ohne Gift«

Bioressourcen /

Ein Drittel der weltweiten Ernte wird von Insekten aufgefressen. Wie bekämpft man diese Schadlinge, ohne dabei die Vielzahl nützlicher Sechsbeiner zu gefährden? Das Fraunhofer IME hat eine clevere Methode von der Natur abgeschaut und nutzt sie fur einen umweltfreundlichen Pflanzenschutz.

© Fraunhofer Magazin, Auflage 02.2022
Seite Eins des Artikels »Pflanzenschutz ohne Gift«
© Fraunhofer Magazin, Auflage 02.2022
Seite Zwei des Artikels »Pflanzenschutz ohne Gift«

Ostafrika droht die schlimmste Hungersnot seit 40 Jahren, fürchtet Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Von der »größten Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg« spricht Entwicklungsministerin Svenja Schulze, »die Lage ist hoch­dramatisch«. Die bekannten Ursachen sind Corona, der Klimawandel mit extremen Dürren, der Krieg in der Ukraine - aber auch Ernteausfälle durch Schädlingsbefall. Durch Krankheiten und Fraußschädlinge gehe fast ein Drittel der weltweit angebauten Feldfrüchte verloren, errechnete eine Forschergruppe der University of Twente. Am stärksten betroffen sei Reis, aber auch bei Kartoffeln, Weizen, Soja und Mais komme es zu Verlusten zwischen 17 und 23 Prozent. »Wir beobachten mit Sorge, dass sich bestimmte Schadinsekten massiv ausbreiten«, bestätigt Prof. Andreas Vilcinskas vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Gießen. Das 2018 erlassene EU-weite Verbot der tödlichen Neonicotinoide zur Schädlingsbekämpfung ist ein wichtiger Schritt, um Bienen und andere nützliche Insekten zu schützen. Doch ohne wirkungsvollen Ersatz »fühlen sich die Bauern im Stich gelassen, weil man ihnen die Waffen genommen hat«, so Vilcinskas.

Die Dringlichkeit zeigt sich beim Rübenanbau: Blattlaus und Schilf-Glasflügelzikade bedrohen die Ernteertrage von 26 000 Rübenbauern in Deutschland. Die wenige Millimeter kleinen Insekten saugen an den Blättern der Feldfrucht und infizieren sie dabei mit Viren und Bakterien, die den Zuckergehalt der Rube um bis zu 40 Prozent verringern. Die Blattläuse und die Zikade breiten sich rasant aus, in Deutschland haben sie schon rund 40 000 Hektar Ackerfläche befallen. »Seit dem Verbot der Neonicotinoide haben wir nichts gegen sie in Händen«, sagt Andreas Vilcinskas: »Unser Ziel ist es, neue Strategien zur Schädlingsbekämpfung zu entwickeln, jenseits von chemischen Pestiziden mit ihren fatalen Nebenwirkungen auf nützliche Insekten.«

Gene gezielt ausschalten 

Der Schlüssel zu einem umwelt- und insekten­verträglichen Pflanzenschutz liegt in der Genomforschung. Zunächst gilt es, solche Gene zu identifizieren, die für eine bestimmte Art von Pflanzenschädling - und nur für diese! - charakteristisch und zugleich lebenswichtig sind. Sobald man diese Gene kennt, versucht man sie gezielt auszuschalten. Eine Methode haben Biologen, wie so oft, von der Natur abgeschaut: Sie nennt sich RNAInterferenz, kurz RNAi, oder RNA-Silencing. »Diesen Mechanismus benutzen alle höheren Organismen, um sich gegen eindringende Viren zu schützen. Wir wollen ihn nutzen, um artspezifisch Gene stillzulegen«, erklärt Vilcinskas. Das Kunststück gelingt mit doppelsträngigen RNA-­Stücken, deren Sequenz exakt komplementär zu den ausgewählten Genen im jeweiligen Schädling ist. Denn Tier- und Pflanzenzellen stellen normalerweise nur einzelsträngige RNA her. Sobald sie doppelsträngige RNA in ihren Zellen entdecken, erkennen sie diese als fremd und bauen sie ab. Entscheidender Nebeneffekt: RNA-Einzelstränge derselben Sequenz werden bei dieser Aktion gleich mit vernichtet. Will man also ein bestimmtes Gen stillschalten, muss man lediglich die von ihm kodierte RNA-Sequenz als Doppelstrang nachbauen. Und dann dafür sorgen, dass sie in die Schadinsekten gelangt, sprich: gefressen wird.

Dazu gibt es zwei Optionen. Nummer eins: Man programmiert das Erbgut der Kulturpflanze so, dass sie die doppelsträngige RNA gegen ein essentielles Gen ihres Fraßfeindes produziert. »Der Charme dieser Methode ist, dass sie eine artspe­zifische Kontrolle von Schadinsekten ermöglicht, wenn wir nur das gewünschte Gen in diesen, aber nicht in anderen Organismen stilllegen. Selbst nah verwandte Arten sind davon nicht beeinträchtigt, erst recht nicht Bienen und andere Tiere oder Menschen«, betont Andreas Vilcinskas. 

Wie sein Team vorgeht, zeigt sich am Beispiel der Erbsenblattlaus. Das Insekt ernährt sich von Pflanzensäften und zapft dazu die Leitungsbahnen seiner Wirtspflanzen an. Ein spezielles Eiweiß in seinem Speichel härtet beim Kontakt mit dem Saftstrom aus und dient der Blattlaus als Trinkhalm. »Wenn wir genau dieses Eiweiß mit RNAi ausschalten, dann kann sie den Trinkhalm nicht mehr herstellen und verhungert«, erklärt der Biologe. Anderen Forschungsgruppen gelang es mithilfe der RNAi-Technik, Kartoffelpflanzen gegen den gefräßigen Kartoffelkäfer resistent zu machen. Weltweit erhofft man sich von der neuen Technik eine umweltfreundliche Alternative zur Giftspritze. Ob die wehrhaften Erbsen- und Kartoffelsorten einst auch in Deutschland angebaut werden, ist angesichts der großen Vorbehalte gegen transgene Pflanzen jedoch ungewiss. 

Deshalb setzt Andreas Vilcinskas auf Option Nummer zwei. »Wir wollen die doppelsträngige RNA im Labor herstellen und dann direkt auf den Acker sprühen. Die Schadinsekten nehmen sie dort beim Fressen auf. Das ist, auch in großen Mengen, völlig unbedenklich, weil RNA keine giftigen Bestandteile enthält und im Freien restlos zerfällt«, erläutert der Insektenforscher. Allerdings dürfen die Biomoleküle nicht zu früh zerfallen oder verdaut werden. »Viele Insekten geben mit dem Speichel Enzyme ab, die RNA abbauen. Auch dafür müssen wir eine Lösung finden. Schließlich muss die RNA vom Insekt aufgenommen werden und unversehrt durchs Darmepithel gelangen. Erst dann kann sie ihre Wirkung entfalten. Wir müssen also für jede Schädlingsart eine passende Formulierung entwickeln, die alle diese Voraussetzungen erfüllt und sich außerdem mit handelsüblichen Geräten versprühen lasst«, führt der Fraunhofer-Forscher aus. Ein gemeinsam vom Fraunhofer IME und der US-amerikanischen Firma Greenlight Biosciences entwickeltes Präparat gegen den Kartoffelkäfer hat sich bereits bewährt und wird nun in Kooperation mit dem Julius­-Kühn-Institut in Feldversuchen getestet. »In den USA wurden die Versuche im Freiland dieses Jahr erfolgreich abgeschlossen, die Marktzulassung ist bereits beantragt«, so Vilcinskas: »Als Nächstes testen wir ein Mittel gegen den Rapsglanzkäfer, der die Pollen der Rapsblüten frisst und so die Reifung der Rapsschoten verhindert.« 

Bewährt und bezahlbar 

Damit die neuartigen Biopestizide konkurrenzfähig sind, müssen sie bezahlbar sein. Zu diesem Zweck arbeiten die Gießener Fraunhofer-Forscher mit Greenlight Biosciences zusammen. Die Fir­ma hat ein zellfreies Verfahren zur synthetischen Herstellung von RNAi entwickelt und patentie­ren lassen, das deutlich kostengünstiger ist als die herkömmliche Produktion in gentechnisch veränderten Hefezellkulturen. Auch das Bundes­landwirtschaftsministerium setzt auf RNAi-ba­sierte Pestizide und fordert das Fraunhofer IME bei der Entwicklung entsprechender Präparate gegen Blattläuse und die Schilf-Glasflügelzikade. Parallel dazu hat Andreas Vilcinskas Dutzende weitere schädliche Tierchen im Visier, darunter etliche Käfer und Schmetterlingsraupen - und ein knappes Dutzend Viren, die eines unserer wich­tigsten Nutztiere befallen: die Honigbiene. Die todbringenden Erreger werden durch Milben und andere Parasiten in den Bienenstock geschleppt oder beim Blütenbesuch von einem Insekt ans nächste weitergegeben. 

Auch hier könnte RNAi Abhilfe schaffen, glaubt Vilcinskas: »Wir wollen lebenswichtige Gene dieser Viren stillschalten und sie so an der Vermehrung hindern.« Sein Team arbeitet daran, spezifische Gensequenzen zu finden und sie entsprechend zu verpacken, damit sie mehrere Tage stabil bleiben. In Zuckerwasser gelöst, könnten sie im Winter an die Honigbienen verfüttert werden und ihre heilende Wirkung entfalten. Dies käme auch ihren wilden Verwandten zugute, betont Andreas Vilcinskas: »Wir beobachten immer häufiger, dass Viren von Honigbienen beim Blütenbesuch auf Hummeln und andere Wildbienen übertragen werden. Wenn wir diese tödlichen Erreger durch RNAi unschädlich machen könnten, wäre das ein wichtiger Schritt zur Rettung der unverzichtbaren Bestäuber in Natur und Landwirtschaft.« 

© Fraunhofer IME | Leonie Graser
Blattlaus-Junges
© Fraunhofer IME | Leonie Graser
Ausgewachsene Blattlaus
© Fraunhofer IME | Leonie Graser
Blattläuse