Insekten als ethische Alternative zu klassischen Labortieren in der biomedizinischen Forschung

Bioressourcen /

Wissenschaftliche Studie liefert wertvolle Einblicke in den Insektendarm und fördert Insekten als ethische Alternative zu klassischen Labortieren in der biomedizinischen Forschung.

© Carolin Ina Schröter
Abb. 1: Illustrative Darstellung des Darms.
© Fraunhofer IME | Anton Windfelder
Abb. 2: Bakterien im Darm von Manduca sexta. Für eine animierte Version siehe Abb. 3
© Fraunhofer IME | Anton Windfelder
Abb. 3: QR-Code für die animierte Version von Abb.2

Forschende des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME Institutsteil Bioressourcen und der Justus-Liebig-Universität Gießen haben in einer Studie unter der Leitung von Dr. Anton G. Windfelder den ersten detaillierten Atlas über die Darmoberfläche des Tabakschwärmers Manduca sexta publiziert. Durch den Einsatz modernster bildgebender Verfahren wie Rasterelektronenmikroskopie und Nano-Computertomographie konnten die Forschende faszinierende Einblicke in die komplexe Struktur des Insektendarmes liefern.

 

Tabakschwärmerlarven sind wichtige Modellorganismen für die Erforschung von Darmentzündungen, denn das Darmepithel von Manduca sexta ähnelt dem von Säugetieren wie dem Menschen. Das Darmephitel wird von einer schützenden, schleimigen peritrophischen Matrix umgeben, die den Darm vor Bakterien schützt – ähnlich wie die Schleimschicht des Darms beim Menschen. Darüber hinaus verfügen die Manduca Larven über ein starkes Immunsystem, das pathogene Bakterien wirksam bekämpfen und unter Kontrolle halten kann. Diese Merkmale machen Manduca sexta zu einem äußerst nützlichen Modell für die Untersuchung von Darmentzündungen und ermöglichen Einblicke in potenzielle Therapien für ähnliche Erkrankungen beim Menschen.

 

Die Ergebnisse, die in der renommierten Fachzeitschrift iScience veröffentlicht wurden, beleuchten signifikante morphologische Unterschiede zwischen verschiedenen Abschnitten des Darmtrakts der Larven und offenbaren eine dichte Besiedelung mit Enterococcen, die die Schleimschicht des Darms und Teile des Hinterdarms bevölkern. Ähnlich wie das Darmmikrobiom des Menschen erfüllt auch das Darmmikrobiom der Manduca wichtige Aufgaben und hilft beispielsweise bei der Abwehr von pathogenen Bakterien. Die vorliegende Studie konnte erstmals die resorptive Fläche des Mitteldarms der Manduca sexta Larven auf 0,4 m2 bestimmen. Ein beeindruckender Wert, der die genaue Dosisanpassung von oral verabreichten Therapien erlaubt. Die vorgelegte Studie dient zukünftig als Referenzstandard. »Forschende können die Daten und unser Modell nun nutzen, um Darmpathologien in-vivo zu untersuchen und Hypothesen zu testen«, so Windfelder. »Unsere Arbeit unterstreicht außerdem die Bedeutung von alternativen Modellsystemen in der biomedizinischen Forschung und unterstützt die Umsetzung der 3R-Prinzipien (Ersetzen, Reduzieren, Verfeinern) im Umgang mit Labortieren«, erklärt Windfelder.

 

Die vorgelegte Studie ist Teil des Verbundprojekts »AlterN'omics«. Hierbei sollen ethische Alternativen zu klassischen Labortieren wie Kleinsäugern erprobt werden. Kleinsäuger wie Ratten und Mäuse sind unverzichtbar in der präklinischen Forschung, aber ihr extensiver Einsatz wirft ethische und ökonomische Bedenken auf. Diese Bedenken spiegeln sich sowohl in der Förderpraxis wissenschaftlicher Projekte als auch in der Gesetzgebung wider. Um die Anzahl der Versuchstiere zu reduzieren und Alternativen zu Wirbeltieren zu nutzen, sollen zukünftig alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. In diesem Zusammenhang können wirbellose Tiere wie Insekten eine wichtige Rolle spielen, um die Belastung klassischer Labortiere wie Ratten oder Mäuse zu verringern. Aus diesem Grund haben das Fraunhofer IME Institutsteil Bioressourcen, die Justus-Liebig-Universität Gießen, die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und das Max-Planck-Institut Bad Nauheim gemeinsam die einzigartige Technologieplattform »AlterN'omics« etabliert. Diese Plattform bündelt nachhaltige, effiziente und innovative Technologien, um traditionelle Tiermodelle durch Alternativen zu ergänzen. Durch diesen Ansatz wird die biomedizinische translationale Forschung beschleunigt und ökonomisiert. Der Name »AlterN'omics« spiegelt die ganzheitliche Betrachtung und Bewertung (»omics«) der alternativen Modelle (»Alter«, für Alternative) wider und setzt neue Standards für die ethische Durchführung wissenschaftlicher Experimente in der biomedizinischen Forschung. Das Verbundprojekt »AlterN'omics« wird im aktuellen Jahresbericht des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME 2023/2024 detailliert vorgestellt.

 

Publikation
A. G. Windfelder, J. Steinbart, L. Graser, J. Scherberich, G. A. Krombach, and A. Vilcinskas; An Enteric Ultrastructural Surface Atlas of the Model Insect Manduca sexta. iScience (2024)

DOI: https://doi.org/10.1016/j.isci.2024.109410

 

Weitere Informationen

https://www.antonwindfelder.com

https://www.ime.fraunhofer.de/Alternative_Modellorganismen

www.insekten-biotechnologie.de

https://youtu.be/bW7GIAcmNh8?si=5UkqZ1biENssE4lf

https://www.ime.fraunhofer.de/de/Mediathek/Jahresberichte.html