Funktionelle Genomik trifft Heilpflanzen - Innovative Pflanzenzüchtung zur Optimierung pflanzlicher Sekundärmetabolite

Heilpflanzen werden seit Jahrtausenden genutzt – mit steigender Tendenz

Seit Jahrtausenden spielen Heilpflanzen eine entscheidende Rolle in der medizinischen Versorgung des Menschen. In den letzten Jahrzehnten hat die weltweite Nutzung dieser wertvollen Pflanzen deutlich zugenommen. Diese Entwicklung ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Die Alterung der Bevölkerung, ein wachsendes Interesse an natürlichen und umweltfreundlichen Produkten sowie ein steigender Wunsch nach Selbstbehandlung. Marktforschungen prognostizieren für den globalen Markt der pflanzlichen Arzneimittel bis 2033 eine jährliche Wachstumsrate von etwa 11 Prozent. Bemerkenswert ist, dass der europäische Markt in den kommenden Jahren voraussichtlich zum zweitgrößten Markt nach dem asiatisch-pazifischen Raum heranwachsen wird. In Europa nimmt Deutschland als einer der führenden Verarbeiter von Arzneipflanzen eine Schlüsselrolle ein. Die hohe Bedeutung der stark mittelständisch geprägten Branche resultiert nicht nur aus der weltweit bedeutenden Produktion von Phytopharmaka, sondern auch aus einer starken Extraktions- und Vertriebsindustrie.

Die Versorgung mit Heilpflanzen sicherzustellen und ihre Bestände zu schützen, kommt eine große Bedeutung zu. Von etwa 50.000 bis 80.000 medizinisch genutzten Pflanzenarten sind rund 15.000 durch Übernutzung und Lebensraumzerstörung bedroht, während nur ca. 900 Arten kultiviert werden. Die Beschaffung pflanzlicher Rohstoffe wird zunehmend herausfordernd, u.a. durch Ernteausfälle infolge von Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel zunehmen. Hochwertiges pflanzliches Ausgangsmaterial in reproduzierbarer Qualität ist jedoch entscheidend für die Bereitstellung von pflanzlichen Wirkstoffen und Wirkstoffmischungen. Die Züchtung neuer Sorten ermöglicht eine Anpassung an die Bedürfnisse des Marktes und fokussiert sich auf höhere Wirkstofferträge, die Eliminierung unerwünschter Inhaltsstoffe und die Toleranz gegenüber Stressfaktoren. Trotz jahrzehntelanger Kultivierung mancher Heilpflanzen blieben etwa 60 Prozent der großflächig angebauten Arten züchterisch unbearbeitet, da die Züchtung häufig zu minderwertigen Sorten mit geringen Erträgen und stark variierenden Wirkstoffgehalten führte. Im Gegensatz zu konventionellen Kulturpflanzen wie Mais oder Weizen steckt die moderne Heilpflanzenzüchtung noch in den Anfängen. Forschenden und Züchtenden fehlen grundlegende Daten zu den allermeisten Heilpflanzen, wie z. B. genetische Informationen, physiologische Bedingungen, Saatguteigenschaften und die Beziehung zwischen Qualität und Wirksamkeit und Anbaufaktoren.

Der molekulare Werkzeugkasten für die innovative Heilpflanzenzüchtung

Die Abteilung »Funktionelle und Angewandte Genomik« setzt seit vielen Jahren den molekularen Werkzeugkasten der innovativen Pflanzenzüchtung ein, diese Expertise nutzen wir in den letzten Jahren auch für die Heilpflanzenzüchtung.

Entwicklung von
Molekularen Markern
und
Metabolic Engineering

 

Identifizierung und Charakterisierung der beteiligten Gene
 

  • Genomik und Transkriptomik
  • Zell- oder Gewebekulturen
  • Pflanzentransformation

Mutagenese - Ein Schlüssel zu gewünschten Eigenschaften
 

  • klassischen Mutagenese
  • Tilling und EcoTilling
  • Genomeditierung

Inhaltsstoffanalytik

 

  • Hochleistungsflüssigkeitschromatographie
  • Gaschromatographie-Massenspektrometrie

 

=> wissensbasierte Züchtung in Kooperation mit Züchtungsunternehmen

Fenchel – Eine der Heilpflanzen im Fokus unserer Forschung

© Fraunhofer IME | Birgit Orthen
Fenchelkraut - Die aromatisch duftenden Blätter sind mehrfach gefiedert mit sehr schmalen, fast fadenförmigen Fiedern.
© Fraunhofer IME | Birgit Orthen
Fenchelfrüchte - Die Spaltfrüchte sind grünlich-braun mit hellen, hervortretenden Rippen und beherbergen je zwei Samen.

Der Körnerfenchel (Foeniculum vulgare Mill. subsp. vulgare var. vulgare) ist eine der wichtigsten Arzneipflanzen Deutschlands. Er ist eine winterharte, zwei- oder mehrjährige krautige Pflanze mit gelben Blüten und gefiederten Blättern. Körnerfenchel wird zur Linderung von Verdauungsbeschwerden sowie bei Schleimhautentzündungen (Katarrhen) der oberen Atemwege eingesetzt. Die medizinische Verwendung von Fenchel ist weitgehend auf die krampflösende, sekretolytische, sekretomotorische und entzündungshemmende Wirkung seines ätherischen Öls zurückzuführen, dass aus den Früchten gewonnen wird. Die getrockneten Früchte werden traditionell als Tee zubereitet. Zusätzlich finden sie Verwendung als Trockenextrakte für Dragees, alkoholische Auszüge für Tropfen und Fenchelöl für Pastillen. Wesentliche Inhaltsstoffe des ätherischen Öls sind trans-Anethol (50–70 Prozent), Fenchon (12–25 Prozent), sowie Estragol (2–8 Prozent). Das süßliche Anethol gilt als krampflösend und verdauungsfördernd und soll gemeinsam mit dem bitteren Fenchon für die schleimlösende Wirkung der Fenchelsamen verantwortlich sein. Im Europäischen Arzneibuch wird Bitterer Fenchel (Foeniculi amari fructus) mit einem Mindestgehalt von 4 % ätherischem Öl und davon mindestens 60 Prozent Anethol und 15 Prozent Fenchon definiert. Der Estragolgehalt im ätherischen Öl darf 5 Prozent nicht überschreiten.
 

Unerwünschter Inhaltsstoff Estragol: Minimierung als Züchtungsziel

Ein übermäßiger Verzehr von Estragol stellt möglicherweise ein Gesundheitsrisiko dar, daher hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) folgende regulatorische Vorgaben festgelegt: Für Erwachsene und Jugendliche wird ein Richtwert von maximal 0,05 mg Estragol/Tag empfohlen, für Kinder unter 12 Jahren ein Wert von 1,0 μg/kg Körpergewicht, unter 4 Jahren wird eine Anwendung nicht empfohlen. Im Lebensmittelbereich gibt es noch keine gesetzlichen Grenzwerte. Derzeit prüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Sicherheit fenchelhaltiger Lebensmittel, die Stellungnahme ist für 2025 angekündigt. Estragol gilt als potenziell krebserregend und wahrscheinlich erbgutverändernd. Bei Einnahmen über längere Zeit, können Abbauprodukte für Schäden an Leber und Erbgut sorgen.
Die Minimierung noch besser die Eliminierung des Estragols in Fenchel stellt somit ein herausragendes Züchtungsziel dar, dem wir uns am Standort Münster annehmen.

Trotz der hohen agronomischen und pharmazeutischen Relevanz des Fenchels stehen wir dabei vor etlichen Herausforderungen, da auch für den Fenchel kaum züchtungsrelevante Daten vorliegen. Die bisherigen Ansätze, den Estragolgehalt zu reduzieren, gingen oft mit einer gleichzeitigen Reduktion der erwünschten Inhaltsstoffe einher. So ist beispielsweise für die Sorte Magnafena ein mittlerer bis geringer Estraolgehalt beschrieben, allerdings erreicht der trans-Antheolgehalt des ätherischen Öls der Früchte nicht immer die vom Europäischen Arzneibuch vorgeschriebene Mindestmenge von 60 Prozent.

Vereinfachte Darstellung der Biosynthese der Phenylpropanoide trans-Anethol und Estragol. Ausgehend von der Aminosäure Phenylalanin synthetisieren Pflanzen über verschiedene Schritte wie Hydroxylierungen, Methylierungen und Reduktion trans-Anethol und Estragol. Das Kreuz symbolisiert das Züchtungsziel: Minimierung von Estragol.
Fenchel in Gewebekultur - Mit einem Reportergen (Rotfärbung des Sprosses) transformierter Fenchel.

Ein erster Schritt in der Entwicklung von molekularen Markern und Metabolic Engineering zur Minimierung des Estragols bestand in der Etablierung einer Gewebekultur aus Explantaten des Körnerfenchels bei uns in der Abteilung. Gewebekulturen ermöglichen es, die Zellaggregate unter sterilen, kontrollierten Bedingungen zu kultivieren. Die Etablierung eines effizienten Transformationsprotokolls stellte einen weiteren wichtigen Meilenstein dar. Damit ist es nun erstmals möglich, genetisches Material in Fenchelzellen einzubringen und aus diesen Pflänzchen zu regenerieren. Um die Effizienz der Transformation zu überprüfen, verwendeten wir ein Reportergen, dessen Expression durch eine charakteristische Rotfärbung des Fenchelsprosses angezeigt wird. Diese Rotfärbung dient somit als Indikator für die erfolgreiche Integration und Expression des eingeführten Gens. Des Weiteren gelang es uns, erste molekulare Grundlagen des Biosyntheseweges für trans-Anethol und Estragol im Körnerfenchel zu analysieren und die zugrundeliegenden Gene zu identifizieren. In zukünftigen Arbeiten werden wir die identifizierten Gene funktionell charakterisieren, um deren spezifische Rollen und Funktionen in der Biosynthese von trans-Anethol und Estragol besser zu verstehen. Hierfür setzen wir unter anderem Genomeditierungstechniken wie die CRISPR/Cas9-Technologie ein, die es uns ermöglicht, Gene gezielt auszuschalten.

Die Technologien und das Know-how, die wir im Rahmen der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zum Körnerfenchel etablieren, bieten vielversprechende Perspektiven für die Übertragung auf andere Pflanzen, die ebenfalls Estragol akkumulieren - wie beispielsweise Estragon (60–75 % Estragol), Kerbel (60 % Estragol) oder Basilikum (23–88 % Estragol).

Der molekulare Werkzeugkasten für die innovative Heilpflanzenzüchtung

Die Abteilung »Funktionelle und Angewandte Genomik« setzt seit vielen Jahren den molekularen Werkzeugkasten der innovativen Pflanzenzüchtung ein, diese Expertise nutzen wir in den letzten Jahren auch für die Heilpflanzenzüchtung.

Entwicklung von Molekularen Markern und Metabolic Engineering  

Molekulare Marker sind kurze DNA-Abschnitte mit bekannter Sequenz und Position im Genom. Ihr wichtigstes Merkmal: Sie werden zusammen mit einer bestimmten Eigenschaft vererbt und ermöglichen einen schnellen Nachweis bereits im Keimling und verkürzen somit den Selektionsprozess in der Pflanzenzüchtung. Ein häufig verwendeter Typ sind SNP-Marker (Single Nucleotide Polymorphisms), die Punktmutationen betreffen und nur ein Basenpaar des Gens verändern.
Metabolic Enigneering – die gezielte Modifizierung der Stoffwechselwegen – setzen wir ein, um die Produktion der gewünschten bioaktiven Verbindungen zu optimieren oder die Synthese von unerwünschten Inhaltsstoffen zu reduzieren/auszuschalten.

Identifizierung und Charakterisierung der beteiligten Gene
Genomsequenzen als wichtiger Baustein für die Aufklärung von Biosynthesewegen und der modernen Züchtung liegen für die allermeisten Heilpflanzen (noch) nicht vor - so sind beispielsweise für rund 80 Prozent der in den Arzneibüchern von Ägypten, Brasilien, China, Europa, Indien, Japan, Korea und USA aufgeführten Pflanzen kein Referenzgenom hinterlegt.
Um die an der Wirkstoffbiosynthese beteiligten Gene zu identifizieren, setzten wir verschiedene Methoden der Genomik und Transkriptomik ein. Diese Technologien sind entscheidend für das Verständnis von Genen und der Regulation der Genexpression. Für funktionelle Analysen ausgewählter Genabschnitte/Gene setzen wir am Fraunhofer IME neben heterologen Expressionssystemen wie z. B. Hefen auch Zell- oder Gewebekulturen der verschiedenen Heilpflanzen ein. Letztere könnten zusätzlich als Wirkstoffproduktionsplattform dienen. Für die Pflanzentransformation nutzen wir häufig die Agrobakterium-vermittelte Transformation. Diese Bodenbakterien besitzen von Natur aus die Fähigkeit, Erbinformation in Pflanzenzellen zu übertragen. Diesen Vorgang machen sich Forschende zunutze, um gewünschte Gene in Pflanzenzellen zu übertragen. Anschließend werden die Zellen in Kultur gebracht, aus diesen können vollständige Pflanzen mit einem veränderten Genotyp angezogen werden.

Mutagenese - Ein Schlüssel zu gewünschten Eigenschaften

Die natürliche Mutationsrate in Pflanzen kann durch biologische, chemische oder physikalische Mutationsauslöser signifikant gesteigert werden. Dies eröffnet die Möglichkeit erwünschte Veränderungen oder Eigenschaften in Pflanzen zu erzielen. Bei der klassischen Mutagenese wird die Mutationsrate im Erbgut erhöht, indem Samen einer Behandlung mit mutagenen Substanzen oder Strahlung unterzogen werden. Diese Verfahren führen zu zufälligen Mutationen im Erbgut. Im Anschluss daran erfolgt eine sorgfältige Selektion der entstandenen Mutanten, um interessante Gene und Eigenschaften zu identifizieren. Diese vielversprechenden Merkmale werden dann in bestehende Sorten eingekreuzt, um ausgewählte Eigenschaften der Pflanzen zu verbessern.
TILLING (Targeting Induced Local Lesions IN Genomes) verbindet die Mutagenese, mit modernen molekularbiologischen Techniken, um größere Pflanzenpopulationen auf molekularer Ebene zu durchsuchen. EcoTilling ist eine Variante von TILLING, bei der anstelle von klassisch mutagenisierten Populationen natürliche Populationen (Wildpflanzen, Landrassen) nach allelischen Varianten durchsucht werden. Ziel ist es, neue natürliche Polymorphismen in bekannten Genen zu finden.
Die Genom-Editierung umfasst verschiedene Techniken zur präzisen Modifikation der DNA, wobei spezifische Mutationen in definierten DNA-Abschnitten erzeugt werden. Eine Grundvoraussetzung ist, dass die Basenabfolge der Zielsequenz bekannt ist. Der Prozess beinhaltet die Identifikation der Ziel-DNA durch spezifische Moleküle und das Schneiden der DNA mit Restriktionsenzymen an der gewünschten Stelle. Die zelleigenen Reparaturenzyme versuchen, die Schäden zu beheben, dabei kann es zu Mutationen kommen. Forschenden können so durch gezielte Veränderung einzelner Gene deren Funktionen erkennen und letztendlich die Eigenschaften der Pflanzen beeinflussen. Eine der bekanntesten Methoden zur Genomeditierung ist die CRISPR/Cas9-Technologie.

Inhaltsstoffanalytik
In der Heilpflanzenforschung sind Inhaltsstoffanalysen mittels Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) und Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS) von zentraler Bedeutung. Diese Technologien ermöglichen die präzise Identifizierung und Quantifizierung bioaktiver Verbindungen. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufklärung der Biosynthesewege, der Züchtung sowie der Qualitätssicherung von Heilpflanzen. In jedem dieser Schritte ist es unerlässlich, den Wirkstoffgehalt genau zu bestimmen, um die Wirksamkeit und Sicherheit der pflanzlichen Produkte zu gewährleisten.

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