Darm als 3D-Modell: Insektenanatomie per VR-Brille

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Gießener Forschende erkunden Tabakschwärmer von innen – Virtuelle Realität ermöglicht Entdeckung bisher unbekannter Darmstrukturen und eröffnet Studierenden neue Einblicke

© Fraunhofer IME | Kim Weigand
Die Gießener Biologen und Studienautoren Dr. Anton Windfelder (mittig) Dr. Jan Scherberich (links) sowie Informatiker und VR-Experten Viet Duc Vu (rechts) mit einer Tabakschwärmerlarve auf dem VR-Headset. Foto: Fraunhofer IME / Kim Weigand
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Virtueller Flug durch den Darm der Tabakschwärmerlarve: Erstautor Dr. Anton Windfelder und VR-Experte Viet Duc Vu demonstrieren ihre Modelle in der Virtual Reality. Foto: Fraunhofer IME / Kim Weigand
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Biologe und Studienautor Dr. Jan Scherberich trägt eine VR-Brille und hält eine Tabakschwärmerlarve auf der Hand. Foto: Fraunhofer IME / Kim Weigand

Per Video oder 3D-Brille durch den Körper scrollen und virtuell die Anatomie entdecken – das ist dank moderner bildgebender Verfahren mittlerweile möglich: Ein Forschungsteam um den Gießener Biologen Dr. Anton Windfelder hat mithilfe von Mikro-Computertomographie erstmals die Raupen des Tabakschwärmers gescannt und eröffnet mit dreidimensionalen Modellen neue Einblicke in deren innere Anatomie. Das Team entdeckte bisher unbekannte anatomische Strukturen im Darm der Insektenlarven, etwa einen Kropf und mehrere Blinddärme. Tabakschwärmer werden als Modellorganismen in der Erforschung von menschlichen Darmkrankheiten wie Morbus Crohn eingesetzt. Die Forschungsergebnisse fließen in die Lehre an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ein: Studierende können in Kursen nun per VR-Brille die Anatomie der Raupen erkunden.

 

Der Tabakschwärmer (Manduca sexta) ist eine amerikanische Nachtfalterart, deren bis zu acht Zentimeter lange Larven eine wichtige Rolle in der biomedizinischen Forschung spielen. »Der Darm von Säugetieren und Insekten ist in vielen Bereichen miteinander vergleichbar. Dies gilt insbesondere für das angeborene Immunsystem. Wenn wir chronische entzündliche Darmerkrankungen beim Tabakschwärmer verstehen, bringt das wichtige Erkenntnisse für die Humanmedizin mit sich – das wissen wir auch aus unseren früheren Studien«, sagt Dr. Windfelder, der an der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der JLU forscht und lehrt sowie am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME arbeitet.

 

»Mit bildgebenden Verfahren aus der Radiologie wie der Computertomographie können wir beispielsweise neue Medikamente gegen chronische Darmerkrankungen erforschen«, sagt Prof. Dr. Gabriele Krombach, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Ko-Autorin der Studie, die das internationale Fachmagazin iScience (Cell Press) veröffentlicht hat. Mittels Computertomographie können Entzündungen in der Darmwand mithilfe von Kontrastmitteln sichtbar gemacht und dadurch die Wirksamkeit von Medikamenten untersucht werden. Die Studie hilft dabei, diese Untersuchungen besser zu planen und die Ergebnisse zu quantifizieren.

 

Die Studie liefert zudem Einblicke in die Struktur von Verdauungsorganen bei Insekten. »Wir sind vom komplexen hexagonalen Faltenmuster überrascht – es zieht sich durch den gesamten Mittel- und Hinterdarm und hängt womöglich mit der Wasserresorption im Hinterdarm zusammen«, sagt Prof. Dr. Andreas Vilcinskas, Professor am Institut für Insektenbiotechnologie der JLU und Institutsteilleiter des Fraunhofer IME in Gießen. »Mit traditioneller Lichtmikroskopie war das bisher so nicht darstellbar«. Auf Grundlage der Daten war es zudem erstmals möglich, das Darmvolumen der Raupen zu berechnen. Mit 1,4 Millilitern entspricht es in etwa dem Darmvolumen einer Maus.

Per Video oder 3D-Brille durch den Körper scrollen und virtuell die Anatomie entdecken – das ist dank moderner bildgebender Verfahren mittlerweile möglich: Ein Forschungsteam um den Gießener Biologen Dr. Anton Windfelder hat mithilfe von Mikro-Computertomographie erstmals die Raupen des Tabakschwärmers gescannt und eröffnet mit dreidimensionalen Modellen neue Einblicke in deren innere Anatomie. Das Team entdeckte bisher unbekannte anatomische Strukturen im Darm der Insektenlarven, etwa einen Kropf und mehrere Blinddärme. Tabakschwärmer werden als Modellorganismen in der Erforschung von menschlichen Darmkrankheiten wie Morbus Crohn eingesetzt.

 

Die Forschungsergebnisse kommen auch den Studierenden der JLU zugute. Anton Windfelder lehrt im Medizinstudium innovative Methoden der biomedizinischen Forschung anhand von alternativen Tiermodellen und lässt Studierende im Rahmen seiner Lehrveranstaltungen die dreidimensionalen Modelle der Raupen per VR-Brille erkunden. Für alle Interessierten sind animierte 3D-Videos zudem online verfügbar.

Virtual Reality oder künstliche Wirklichkeit ist eine Technologie, durch die Benutzerinnen und Benutzer mit virtuellen Objekten interagieren können. Mit dieser Technik ist es auch möglich, durch den Darm der Tabakschwärmer zu scrollen. Für die Übertragung der Forschungsdaten in die virtuelle Realität arbeitet das Gießener Team mit dem VR-Experten Viet Duc Vu und dem NWTmed-Team der JLU zusammen. NWTmed – kurz für (Natur)Wissenschaft und Technik in der Medizin – ist eine interdisziplinäre Lehr- und Lernplattform unter der Projektleitung von Dr. Johannes Lang und Dr. Holger Repp, die sich unter anderem für die Nutzung der virtuellen Realität in der naturwissenschaftlichen und medizinischen Lehre stark machen. Studienleiter Dr. Windfelder ist überzeugt: »Die virtuelle Realität ist ein Game-Changer und wird die Lehre revolutionieren.«

 

Publikation

Windfelder, A.G., Steinbart, J., Flögel, U., Scherberich, J., Kampschulte, M., Krombach, G.A., and Vilcinskas, A. (2023). A quantitative micro-tomographic gut atlas of the lepidopteran model insect Manduca sexta iScience 26. https://doi.org/10.1016/j.isci.2023.106801.

 

 

Weitere Informationen

Videos: https://youtube.com/playlist?list=PLtL43oYX4J36My_U7ndmQg719PDbaOTlF