Enzyme in Spinnengiften zeigen bioökonomisch nutzbares Potenzial

Die wachsende Weltbevölkerung stellt ein immer größer werdendes Problem dar. Um den weltweiten Konsum von Nutz- und Lebensmitteln decken zu können, wird händeringend nach neuen, nachhaltigen Lösungen gesucht. Eine mögliche Lösung ist die Entwicklung neuer Enzymtechnologien. Am Institutsteil Bioressourcen des Fraunhofer IME in Gießen fokussiert sich die Gruppe »Animal Venomics« auf eine völlig neue, unerschlossene Quelle von Enzymen: Spinnengifte.

 

Spinnen haben sich in über 300 Millionen Jahren in nahezu allen terrestrischen Ökosystemen etabliert. Mit etwa 52 000 bekannten Arten, von denen viele giftig sind, gehören sie zu den erfolgreichsten Gifttieren. Die Spinnentiere umfassen neben den Spinnen auch Skorpione, Pseudoskorpione und parasitär lebende Tiere wie beispielsweise Zecken. Spinnen werden in drei Unterordnungen unterteilt: Mesothelae, Mygalomorphae und Araneomorphae. Während die Mesothelae die evolutionär älteste Gruppe mit nur einer Spinnenfamilie (Liphistidae) darstellt, werden den Mygalomorphen die Vogelspinnenartigen mit rund 3000 Arten zugeordnet. Die Araneomorphae bilden mit etwa 94 Prozent der rezenten Spinnenarten die größte Unterordnung und umfassen eine hohe Diversität, unter anderem die Wespenspinne (Argiope bruennichi) oder auch die Schwarze Witwe (Latrodectus mactans).

© Tobias Hauke
Bild des Ammen-Dornfingers (Cheiracanthium punctorium)

Die biochemische Vielfalt der Spinnengifte

Mit Ausnahme der Familie Uloboridae produzieren alle Spinnen Gift. Dieses wird in spezialisierten Giftdrüsen hergestellt und durch Beißwerkzeuge in das Opfer injiziert. Spinnengifte sind hochkomplex und enthalten bis zu 3000 verschiedene Biomoleküle, darunter Neurotoxine, antimikrobielle Peptide und Enzyme. Diese Komponenten wirken sowohl einzeln als auch synergistisch, um eine starke Wirkung auf das Opfer zu entfalten. Die meisten Spinnengifte wirken sich primär auf das Nervensystem ihres Opfers aus und führen zu einer schnellen Lähmung oder sogar zum Tod. Neurotoxine stören die Reizweiterleitung beteiligter Ionenkanäle und Rezeptoren von Nervenzellen. Enzyme können verschiedene Funktionen innehaben, einschließlich die Verbreitung des Giftes im Körper des Opfers.

Durch die Vielfalt der enthaltenen Komponenten gelten Spinnengifte als bedeutende Quelle neuer Naturstoffe. Schätzungen zufolge könnten über 10 Millionen Biomoleküle aus Spinnengiften gewonnen werden, bisher wurden jedoch weniger als 3000 Toxine beschrieben. Ein Grund für diese Diskrepanz liegt in der traditionellen Untersuchungsmethode, welche mit hohem Aufwand verbunden ist und vor allem auf größere Spinnenarten angewendet wurde. Modern Venomics, ein Ansatz, der auf »Omics-Technologien« basiert, hat diese Einschränkung überwunden. Die »Omics-Technologien« umfassen die Untersuchung von Proteinen (Proteomics), Genomen (Genomics), Metaboliten (Metabolomics) und Transkriptomen (Transcriptomics). Die Kombination von Transcriptomics und Proteomics ermöglicht unterstützt durch Bioinformatik, die Aufschlüsselung der Giftkomposition. Im Vergleich zur traditionellen Methode benötigt dieser Ansatz nur geringe Mengen an Rohgift oder isolierte Giftdrüsen und ermöglicht die Analyse von Giften, die zuvor nicht zugänglich waren.

 

Enzyme aus Spinnengiften: Potenzial für industrielle Anwendungen

Unsere Arbeitsgruppe »Animal Venomics« hat sich auf die Untersuchung der Enzyme in Spinnengiften konzentriert. Bisher gab es bereits einige wissenschaftliche Hinweise auf die Präsenz von Enzymen in Spinnengiften, jedoch wurde noch keine gezielte systematische Suche durchgeführt. In unserer Analyse von allen verfügbaren Rohdaten zu Spinnengiften haben wir mehr als 140 verschiedene Enzymfamilien entdeckt. Dies zeigt nicht nur die bisherige Unterschätzung der Spinnengiftkomplexität, sondern eröffnet auch neue Perspektiven für die Anwendung dieser Enzyme. Sie sind für verschiedene industrielle Anwendungen interessant, da sie auch unter chemisch stark variierenden Bedingungen aktiv sind. Dies hängt damit zusammen, dass sie unter Bedingungen produziert und gelagert werden, die sich deutlich von denen unterscheiden, in denen die Enzyme aktiv sind. Daher könnten sie in Bereichen wie der Lebensmittelindustrie, in Reinigungsmitteln und der Textilindustrie von Nutzen sein. So könnten Peptidasen, Amylasen und Lipasen, die in Spinnengiften vorkommen, in Reinigungsmitteln zur Fleckenentfernung oder zum Abbau von organischen Abfällen eingesetzt werden. Peroxidasen, beispielsweise, könnten in der Textilindustrie als antimikrobielle Zusatzstoffe oder zur Entfernung überschüssiger Farbstoffe verwendet werden.

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Analyse von Spinnengiften und heterologe Herstellung von Toxinen für mögliche Anwendungen

Etablierung der Enzymproduktion mittels »Omics-Technologien«

Die neuen »Omics-Technologien« haben es ermöglicht, eine breite Palette von interessanten Giftkomponenten zu identifizieren, die Potenzial für die Anwendung in verschiedenen Industrien bieten. Um dieses Potenzial zu evaluieren, ist es jedoch notwendig, diese Enzyme in ausreichenden Mengen bereitzustellen. Dies erfordert die gezielte Produktion der Enzyme. Wir befassen uns derzeit mit der Etablierung der Enzymproduktion in Bakterienzellen. Bakterien sind aufgrund ihrer einfachen Handhabung, Skalierbarkeit und der Verfügbarkeit etablierter Laborprotokollen ein geeignetes System. Mithilfe der »Omics-Technologien« kann die Aminosäuresequenz der Enzyme bestimmt werden. Diese muss nun in die Bakterienzellen eingebracht werden, um das Enzym produzieren zu können. Um den Umgang mit den Enzymen möglichst sicher zu gestalten, werden diese durch das Hinzufügen weiterer Proteine inaktiviert. Ist das Einbringen der genetischen Information in die Bakterienzellen erfolgreich, können diese das inaktive Enzym produzieren. Im Anschluss wird das inaktivierte Enzym aufgereinigt und durch Abspaltung der Zusätze aktiviert. Nach einem weiteren Aufreinigungsschritt kann das aktive Enzym erhalten und sein Potenzial evaluiert werden.

Während sich die Forschungswelt bisher ausschließlich auf die medizinische und landwirtschaftliche Anwendung fokussiert hat, bieten Spinnengiftenzyme die Möglichkeit eines neuen Felds der angewandten Forschung. Da bisher jedoch erst weniger als ein Prozent der Spinnengifte untersucht wurden, stehen uns viele spannende Entdeckungen noch bevor. Die Fortschritte in den „Omics-Technologien“ und der heterologen Produktion in Bakterien bieten dabei neue Perspektiven, die weit über die traditionellen Anwendungsbereiche hinausgehen.

Wie Sie mit uns zusammen arbeiten

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Wir Begutachten gemeinsam ihre Fragestellung und evaluieren, ob wir diese mit unserer Plattform und unseren Analysemethoden adressieren können.

Zu unseren Methoden gehören, neben Biobanking, ein Portfolio an systembiologischen Methoden (bottom-up und top-down Proteomics, Transcriptomics und Genomics) und verschiedensten Ansätzen der heterologen Proteinexpression auch Expertise in der Durchführung und Anpassung von in vitro und in vivo Bioassays. Des Weiteren verfügen wir über Expertise im Protein Engineering und der Anwendung verschiedenster bioinformatischer Tools zur effektiven Bioprospektion aus Tiergiften.

 

Arbeitsgruppe »Animal Venomics«

 

Biodiversitätsforschung